Selbstbildnis, Kohle, 1928
Geistkämpfer, Bronze, 1928
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PROJEKT
Der 70. Todestag Ernst Barlachs ist uns Anlass,
zu einer ökumenischen Ausstellung mit seinen
Werken einzuladen.
Mit dem Projekt „Barlach in Kiel“ möchten wir den
Bildhauer, Grafiker und Schriftsteller Ernst Barlach
in besonderer Weise ehren und hervorheben, dass
der Künstler mit einem seiner bedeutendsten
Werke - dem „Geistkämpfer“ - an der Nikolai-
Kirche am Alten Markt immer öffentlich präsent
ist. Weitere Werke Ernst Barlachs befinden sich
in der Ehrenhalle des Kieler Rathauses und auch
die Kunsthalle zu Kiel ist im Besitz einer umfangreichen
Sammlung seiner Bildwerke.
Ähnlich wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist
auch der Mensch unserer Tage an einer durch
Wissenschaft und Konsum nicht zu befriedigenden
Sinngebung interessiert. Daher scheint uns
die Hoffnung begründet, mit dem ökumenischen
Projekt „Barlach in Kiel“ die Aufnahmebereitschaft
breiter Publikumskreise zu erreichen.
Viele Menschen haben die Skulpturen Ernst
Barlachs zum Anlass genommen, über ihr eigenes
Leben neu nachzudenken. So wundert es nicht,
dass seine Werke in besonderer Weise zu Besinnung
und Reflexion einladen, denn für Barlach hat
Kunst den alleinigen Auftrag, das Unsichtbare zu
gestalten und zum Erscheinen zu bringen. Und so
wird auch das ökumenische Projekt „Barlach in
Kiel“ den Sinn für das Geheimnis des Lebens neu
öffnen und schärfen.
Das künstlerische und literarische Erbe Ernst
Barlachs lässt sich in einem doppelten Sinne als
ganzheitlich bezeichnen, denn die umfassende
Vielseitigkeit seines ästhetischen Konzeptes zeigt
den Versuch, den Menschen weder in abstrakter
Gegenstandslosigkeit noch in platter Abbildlichkeit,
sondern in der ganzen Einheit seines Seins
darstellen zu wollen. Und damit ist nicht nur seine
physische, sondern vor allem auch seine spirituelle,
seine religiöse Existenz gemeint.
Soll ein Werk von diesem Zuschnitt die Chance zur
Gegenwartswirksamkeit behalten, bedarf es der
Vermittlungsarbeit. Barlach hat das grosse Glück,
dass sich in seinem Namen nicht nur eine international
tätige Gesellschaft und eine Stiftung formiert
haben, sondern auch die christlichen Kirchen
beider Konfessionen in immer neuen Anläufen den
Versuch unternehmen, dieser Aufgabe gerecht zu
werden.
Wir danken allen Beteiligten und laden herzlich
dazu ein, sich von Barlachs Werk beeindrucken zu
lassen.
Für die Offene Kirche St. Nikolai zu Kiel
und den Kieler Kloster Verein
Klaus Blaschke
Für die Katholische Kirche Kiel und
das Forum Kirche und Gesellschaft
Leo Sunderdiek
Für die Ernst Barlach
Gesellschaft Hamburg
Jürgen Doppelstein
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Spaziergänger, Stukko, 1912
Frierendes Mädchen, Bronze, 1916
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ERNST BARLACHS KAMPF FÜR DAS GEISTIGE
Der Bildhauer, Zeichner, Grafiker und Dichter
Ernst Barlach studierte von 1888 bis 1891 an der
Hamburger Kunstgewerbeschule, danach bis 1895
an der Dresdner Akademie und hielt sich 1895 und
1897 zu Studien in Paris auf; obwohl zunächst dem
Jugendstil anhängend, fand er auf einer Reise
nach Rußland (1906) das, was er gesucht hatte:
Ursprünglichkeit und eine alle Lebensbereiche
umfassende plastische Sprache. Ab 1910 lebte
Barlach in Güstrow, wurde 1913 Mitglied der
Berliner Sezession und 1919 ordentliches Mitglied
der Preußischen Akademie der Künste. In den
20er Jahren setzte er sich intensiv mit Fragen
der Kriegerdenkmäler auseinander. Er verstand
sie als Denkzeichen für einen neuen Menschen.
Barlachs Werk trug maßgeblich zur Neuorientierung
in der Skulptur des 20. Jahrhunderts bei. Als
Schriftsteller schrieb er Dramen, Romanfragmente,
autobiographische Erzählungen, Tagebücher und
Kurzprosa von außerordentlicher Intensität. Doch
waren seine Werke und Schriften während der
Gewaltherrschaft des Dritten Reiches verboten, er
wurde mit Ausstellungsverbot belegt und 1938 aus
der Preußischen Akademie der Künste gezwungen.
Viele seiner Skulpturen und Denkzeichen wurden
als „entartete Kunst“ nach 1933 entfernt bzw.
zerstört, aber nach 1945 wieder hergestellt. (z.B.
Der schwebende Engel im Dom von Güstrow, das
„Güstrower Ehrenmal“, „Der Geistkämpfer“ in Kiel
und die Figurengruppe im Magdeburger Dom, das
„Magdeburger Ehrenmal“).
Bereits 1921/22 hatte Ernst Barlach mit seiner
holzgeschnitzten Tafel „Schmerzensmutter“ in St.
Nikolai zu Kiel ein Sinnbild für die leidenden Mütter
des 1. Weltkrieges geschaffen. Auf der schon
durch das Bildermann-Blatt „Dona nobis pacem“
vom 20. Dezember 1916 vorbereitete Motiv sehen
wir eine betende, auf Wolken schwebende, mit
den gefalteten Händen das Gesicht bedeckende,
weibliche Andachtsfigur, die zwar ikonographisch
aus dem Zusammenhang der Kreuzigung und Marienbeweinung
Christi gelöst wird, dennoch aber
von den sieben Schwertern der „mater dolorosa“
eingefasst ist, die im christlichen Andachtsbild
die sieben Schmerzen der Maria symbolisieren.
(Weissagung des Simeon, Flucht nach Ägypten, Suche
nach dem 12-jährigen Jesus, Gefangennahme
Christi, Kreuzigung, Kreuzabnahme, Grablegung).
Befindet sich Ernst Barlach also mit der „Schmerzensmutter“
noch ganz im christlichen Kontext, so
löst er sich mit dem 1927/28 geschaffenen und
als Kriegsgefallenen-Ehrenmal missverstandenen
„Geistkämpfer“ für die Kieler Universitätskirche
völlig aus diesem Zusammenhang. Mit diesem
Werk zeigt Barlach, dass er nicht bereit war, sich
dem durch die Moderne eingeleiteten Zwang einer
alles umfassenden Individualisierung, Rationalisierung
und Entzauberung der Welt zu unterwerfen.
Der „Geistkämpfer“ sucht das ewig Gleitende zu
belauschen und das Unfassbare, das Unsagbare,
das Numinose zu formulieren, er will seine Magie
aufbewahren und die Erfahrung eines unbekannten,
spirituellen Lebens zurückholen in die menschliche
Gemeinschaft. Barlach sagt dazu:
„Mich ergreift in besten Stunden die Vorstellung
der Entpersönlichung, des Aufgehens im Höheren,
ich nenne es das Glück der Selbstüberwindung (...)
Ich habe oft behauptet, das größte Glück sei das
Übersichhinauskommen, das momentane Eingehen
in ein Übergeordnetes.“
In diesem Sinne haben die Mystiker aller Kulturen
die Vorstellung von Ich und Ichlosigkeit, „von Allem
und vom Einen“ (Rumi) thematisiert und damit eine
kaum abzuschätzende Wirkung ausgeübt. Zugleich
haben sie eine geistige Wirklichkeit, die sie als
Rückbindung an einen unhinterfragbar göttlichen
Grund verstanden haben, in Worten, Zeichen,
Bildern, Gleichnissen und Symbolen zu beschreiben
versucht.
Auch Ernst Barlach hat seine Aufgabe als
Bildhauer, Zeichner, Grafiker und Schriftsteller in
genau diesem Kontext verstanden und die von ihm
gestalteten Menschentypen mal als gefühlsbetonte,
mal als sinnlich-rauschhafte, mal als kontemplative
oder als sinnende, immer jedoch als geistige
Wesen dargestellt.
Das, was diese Figuren vereint, ist die Verpflichtung
gegenüber einer höheren Wahrheit, die den
Menschen aus der rationalen, der wissenschaftlichen
Raum- und Zeitebene heraushebt und auf ein
„Über sich Hinauskommen“, auf einen Weg in die
„lchlosigkeit“ verweist. Auf diese Weise ist eine
ganz besondere, nur Barlach eigene Typologie der
Darstellung geistigen Erlebens entstanden, der wir
in diesem Projekt nachgehen.
Jürgen Doppelstein
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AUSSTELLUNGS- und DENKORTE
1) Kieler Kloster
Falckstraße 9, 24103 Kiel
täglich 10 – 18 Uhr
Plastiken:
Schwebender Gottvater, Steinzeug 1922;
Der Wanderer im Wind, Stukko 1934;
Der Spaziergänger, Stukko 1912;
Der Rächer, Gips unter Schellack 1914;
Zwei Schlafende, Bronze 1916/17;
Der Übergang, Bronze 1917;
Die Hexe auf den Scheitern, Bronze 1919;
Der Blinde und der Lahme, Stukko 1919;
Weinende Frau, Bronze 1923;
Das Grauen, Bronze 1923;
Hamburger Ehrenmal, Gips 1931.
Holzschnittzyklen:
„Die Wandlung Gottes, Sieben Holzschnitte 1920/21“;
„Schiller an die Freude, Neun Holzschnitte 1928“.
2) Offene Kirche St. Nikolai zu Kiel
Alter Markt, 24103 Kiel
täglich 10 – 18 Uhr
Dokumentation zum Geistkämpfer und zur Schmerzensmutter;
Monumentalplastik: Der Geistkämpfer, Bronze, 1928;
Der Bettler, Bronze, 1930 (Aus: Die Gemeinschaft der Heiligen, St Katharinen, Lübeck)
3) Rathaus
Fleethörn 9, 24103 Kiel
werktags von 8 – 16 Uhr
Ehrenhalle der Stadt Kiel mit Plastiken und Grafiken von Ernst Barlach.
4) KirchenKai
Rathausstraße 5, 24103 Kiel
täglich 10 – 18 Uhr
Plastiken:
Frierendes Mädchen, Bronze 1916;
Frau im Wind, Bronze 1931;
Der Sänger, Bronze 1931;
Tod im Leben, Bronze 1926.
Grafikzyklus:
„Armer Vetter“ 34 Lithographien von 1919;
Dokumentarfilm: „Verloren-Daheim“
5) Katholische Propsteikirche
St. Nikolaus Kiel
Rathausstraße 5, 24103 Kiel
täglich 10 – 18 Uhr
Kruzifix II, Bronze 1918;
Pietà, Bronze 1932;
Güstrower Ehrenmal, Stukko 1927;
Magdeburger Ehrenmal, Bronze 1928.
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PROGRAMM
Während der Ausstellungsdauer laden wir
zu verschiedenen Veranstaltungen ein.
Eröffnung der Ausstellungsreihe
mit Grußworten und einer Einführung
durch Dr. Jürgen Doppelstein
anschließend Begegnung im KirchenKai
24. Oktober um 19.30 Uhr
Propsteikirche St. Nikolaus Kiel, KirchenKai
Vortrag
„Ich habe keinen Gott, aber Gott hat mich“ - über
die Rolle der Religion im Werk Ernst Barlachs
Prof. Dr. Wolfgang Tarnowski, Hamburg
25. Oktober um 15 Uhr
Gemeindezentrum der Propstei St. Nikolaus Kiel
Vortrag mit Texterkundungen
„Ernst Barlach – Schriftsteller des Nordens“
Dr. Ulrich Bubrowski, Hamburg
25. Oktober um 17 Uhr
Gemeindezentrum der Propstei St. Nikolaus Kiel
Dokumentarfilme
in Zusammenarbeit
mit dem Kommunalen Kino Kiel
„Verloren daheim. Ernst Barlach – Künstler in dunkler Zeit“
D 1994 (BR). Vera Batterbusch. ca. 40 Min
„Barlach – Mystiker der Moderne“
D 2006 (Arte/NDR). Bernd Böhm. ca. 43 Min
anschließend Orgelmeditation mit KMD Prof. Rainer-Michael Munz
25. Oktober um 20 Uhr
Offene Kirche St. Nikolai zu Kiel
Ökumenischer Gottesdienst
zur Eröffnung der Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe „Barlach in
Kiel – ein ökumenisches Projekt anläßlich des 70. Todestags Ernst Barlachs“
26. Oktober um 19.30 Uhr
Offene Kirche St. Nikolai zu Kiel
Veranstaltung
für KatechetInnen, Pastorale MitarbeiterInnen und ReligionslehrerInnen
„Gott verbirgt sich hinter Allem und in Allem sind schmale Spuren, durch die er scheint und blitzt“
mit Jens Ehebrecht-ZumSande, Gemeindereferent
28. Oktober, 15 – 18 Uhr
Gemeindezentrum der Propstei St. Nikolaus zu Kiel
Vortrag mit Lichtbildern
„Der Geist des Geistkämpfers - der Künstler Ernst Barlach in Kiel“
Jens Rönnau, Journalist und Kulturwissenschaftler, Kiel
anschließend kurze Orgelimprovisation
1. November um 20 Uhr
Offene Kirche St. Nikolai zu Kiel
Film
in Zusammenarbeit
mit dem Kommunalen Kino Kiel
„Die Wannseekonferenz / Conspiracy“
USA/GB 2001. Frank Pierson. 95 Min.
Mit Kenneth Branagh, Stanley Tucci, Colin Firth, David Threlfall
8. November um 20 Uhr
Offene Kirche St. Nikolai zu Kiel
Orgelkonzert
KMD Robert Dears spielt anläßlich der Barlach-Ausstellung
9. November um 17.30 Uhr
Propsteikirche St. Nikolaus zu Kiel
Film
in Zusammenarbeit
mit dem Kommunalen Kino Kiel
„Sansibar oder der letzte Grund“
BRD/DDR/CH 1987. Bernhard Wicki. 64 Min.
Mit Peter Kremer, Cornelia Schmaus, Gisela Stein, Elisabeth Endriss
15. November um 20 Uhr
Offene Kirche St. Nikolai zu Kiel
Lesung
Norbert Aust und Daniel Karasek lesen Texte von Ernst-Barlach.
17. November um 20 Uhr
Propsteikirche St. Nikolaus Kiel
Nacht der Offenen Kirche
…und er ist nicht fern
Meditationen unter dem Eindruck der ausgestellten Werke Barlachs
21. November 18 – 23 Uhr
Propsteikirche St. Nikolaus Kiel
Orgelkonzert
zum Abschluss der Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe spielt KMD Prof. Rainer-Michael Munz
22. November um 20 Uhr
Offene Kirche St. Nikolai zu Kiel
Hinweise
Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei. Es wird um eine Spende zur Kostendeckung gegebeten.
Nach den Vortrags- und Filmveranstaltungen laden wir zu einer Begegnung bei Brot und Wein ein.
Die Evangelische Bücherstube hat während der Ausstellungsdauer eine große Auswahl von Büchern über Ernst Barlach vorrätig.
Am 15. November 2008 gibt es anläßlich der Filmvorführung „Sansibar“ einen Büchertisch in der Offenen Kirche St. Nikolai zu Kiel.
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IMPRESSUM
„Barlach in Kiel – ein ökumenisches Projekt“
ist eine Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe der
mit Unterstützung der Landeshauptstadt Kiel und der Kunsthalle zu Kiel
anlässlich des 70. Todestages von Ernst Barlach.
Projektteam
Stefan Becker,
Klaus Blaschke,
Jürgen Doppelstein,
Armin Mack,
Bernhard Schwichtenberg,
Gerlind Stephani,
Leo Sunderdiek,
Peter Thurmann,
Ingrid v. Unruh,
Matthias Wünsche,
Wolfgang Zeigerer.
Verantwortlich
Jürgen Doppelstein,
Ingrid v. Unruh.
Graphikdesign
anja kühn und arendt schmolze
www.schmolzeundkuehn.de
Webdesign und Webmaster
Dr. Martin Kölling
www.DokAssist.de
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